Einmal im Jahr, im November, müssen deutsche Kinder Lichterketten üben und doofe Lieder singen: "Ich geh mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir." Das ist in sich schlüssig. Friede, Freude, Händchenhalten - ra bimmel ra bammel ra bumm.
Das Schlimme an diesem Brauch ist aber dessen Ursprung, die Legende vom heiligen St. Martin. Was für ein Arschloch, dieser Martin, reitet Stunden lang durch Nacht und Wind, bis er endlich ein armes Schwein findet, das er demütigen kann. Ich habe das schon als Kind nie verstanden. Was zum Teufel soll ein Bettler mit einem halben Mantel anfangen? So ein schöner Mantel, einfach kaputt gemacht.
Dem Martin ist das ja wurscht, er hat Kohle ohne Ende, er geht am nächsten Tag zu H&M und kauft sich einen neuen Mantel. Da hätte er dem Bettler ruhig den alten geben können. Aber nein - erst kaputtmachen. Das ist so eine ganz miese, abgefuckte New-Economy-Arsch-lecken-Aktion: Schau her, Bettler, ich kann es mir leisten, die teure Dolce&Gabana-Robe zu zerschneiden. Hier kriegst einen Fetzen, darfst auch mal am Reichtum schnuppern!
Der Martin kann natürlich mit seiner Mantelhälfte nichts mehr anfangen, aber er gibt sie dem Bettler nicht, dann könnte der ja das Nähen anfangen und am Ende so aussehen wie er, nein, ab mit der Mantelhälte in den Altkleidercontainer, um noch einen zweiten Armen zu ärgern, der die Mantel-Hälfte ein paar Wochen später da rauszieht und sich denkt: Wieder so ein neureiches Arschloch!
Nebenbei ist nicht überliefert, wie Martin den Mantel geteilt hat. Wahrscheinlich war das nämlich ein ganz langer Mantel und er hat ihn quer geteilt - und den oberen Teil behalten: Ich wollt eh lieber einen Anorak, ätschibetsch, den Saum darfst du haben, Bettler.
Das ist sogar sehr wahrscheinlich, weil so'n langer Mantel ziemlich stört, beim Reiten. Überhaupt reiten: Was hat der Martin überhaupt draußen zu suchen? Hey, das war 'n Scheiß-Wetter damals. Der Martin ist nur raus, weil er wußte: Irgendwo werde ich schon einen Obdachlosen finden, und dem koch ichs dann mal so richtig fett. Der wollte dem Bettler nicht helfen, dann hätte er ihn nämlich mitgenommen oder 50 Mark gegeben oder so. Er hätte ihm z.B. auch sein Roß schenken können, das hätte der Bettler am nächsten Tag vertickt und sich drei Gallonen Lambrusco dafür gekauft. Oder das Schwert hätte er ihm schenken können, damit der Kerl eine Bank überfallen kann - irgendwas Sinnvolles halt. Aber nein, ein halber Mantel.
Ich werde nie meine Kindergärtnerin vergessen, die, nachdem ich ihr meine kapitalismuskritischen Einwände gegen den Herrn Martin vorgetragen hatte, meinte: "Vielleicht hat der Bettler ja einen Schlaganfall gehabt. Bettler trinken ja viel und haben oft einen Schlaganfall, und mit so einer halbseitigen Lähmung ist so ein halber Mantel total praktisch..."
Die Kindergärtnerin sagte dann, es sei eben auch um die Geste gegangen. Tolle Geste: Du erfrierst eh, Bettler. Was auch immer ich dir gäbe, du würdest es ja ohnehin nur in Drogen umsetzen, und so'n halben Mantel kannst du wenigstens nicht versaufen. Super Plan.
Armut ist einfach eine schlimme Sache - für die Reichen. Der arme Martin, ich meine, man kennt doch das Dilemma: Gebe ich was und halte so das Elend am Laufen? Oder gebe ich nichts, und der Bettler kommt heim zu seinem Vater und der verprügelt ihn. Der Martin musste halt irgendwie einen Kompromiss finden, weil er doch ein Vorbild für die vielen kleinen Laternen-Kinder ist.
Ich würde mir wünschen, dass die Kinder das mal ernst nehmen. Und Revolution machen, eine zünftige Novemberrevolution: Tausende deutscher Kinder begehren auf im Handarbeits-Unterricht: "Ihre Eurythmie-Bastel-Scheiße können Sie sich in den Arsch schieben, Frau Lehrerin. Wir scheißen auf Kerzen, wir wollen handeln!" Und dann rennen die Kinder los, bis einjedes einen Obdachlosen gefunden hat, und dann zerschneiden sie ihre teuren Klamotten. Und zu Hause sagen sie: "Aber wir hams doch so gelernt, im Kindergarten."
Leider wird's dazu nicht kommen, weil deutsche Kinder zu blöd sind. Die könnten das gar nicht, weil Mantel-Zerteilen nicht gelehrt wird an deutschen Kindergärten. Die Kinder wüßten z.B. nicht, dass man den Mantel vorher ausziehen muss, und dann lägen sie tot im Straßengraben. Nein, deutsche Kinder tun nur das, was sie vorher auch geübt haben. Lichterketten machen und blöde Lieder singen. Mehr braucht man ja auch nicht für später. Ra bimmel ra bammel ra bumm!
jess jochimsen